Die Baubranche und der Rechtsbereich gelten traditionell als eher konservativ. Doch der grösste Schweizer Baudienstleister Implenia hat in Zusammenarbeit mit dem Legal-AI-Unternehmen Legartis eine innovative Co-Entwicklung gestartet. Ziel ist es, ein KI-Modul zu entwickeln, das speziell auf die Baubranche ausgerichtet ist und die Prüfung von Bauwerkverträgen beschleunigt und optimiert.
Im Interview sprechen German Grüniger, General Counsel & Chief Compliance Officer, Implenia und Dr. Michael Burkart, Global Head Legal Operations & Strategy bei Implenia, über die Hintergründe dieser Partnerschaft, die Herausforderungen und die sich daraus ergebenden Chancen.
Wie kam es dazu, dass sich Implenia für ein Co-Development mit Legartis entschieden hat? Warum jetzt und warum Legartis?
German Grüniger: Die Baubranche, das ist wohl allgemein bekannt, gilt als eher zurückhaltend in der Digitalisierung. Wir bei Implenia, als grösster Baudienstleister der Schweiz, investieren jedoch stark in digitale Innovationen – und wer, wenn nicht wir, sollte hier die Vorreiterrolle übernehmen? Das Gleiche gilt auch für unsere Rechtsabteilung. Mit inzwischen rund 40 Juristen benötigen wir dringend effiziente Arbeitsprozesse.
Seit Jahren suche ich nach Wegen, unsere Effizienz zu steigern. Mit den neuen Technologien hat sich ein völlig neues Feld eröffnet, das uns enorme Chancen bietet. Das war auch meine Motivation, hier einen Schritt weiterzugehen und mehr zu tun, als es allgemein üblich ist. Es lag einfach auf der Hand.
Man muss auch sagen, dass der konkrete Anwendungsfall – die Prüfung von umfangreichen Verträgen – schon lange bekannt ist. Wir haben seit Jahren mit verschiedenen Anbietern gesprochen, um eine Lösung zu finden, die uns bei der Vertragsprüfung unterstützt und diese beschleunigt. Nach einer eingehenden Prüfung von Legartis im Jahr 2022 haben wir schliesslich beschlossen, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Ein entscheidender Faktor für unsere Wahl war, neben den vielen funktionalen Anforderungen, die bereits vortrainierte KI von Legartis.
Ein Teil der gemeinsamen Herangehensweise war das Erarbeiten des Business Case. Was sind die Herausforderungen und welche Potenziale ergeben sich durch die KI-Lösung von Legartis?
German Grüniger: Im Mittelpunkt steht die Effizienz. Viele repetitive Aufgaben, wie die Vertragsprüfung, werden noch manuell erledigt und sind für unser Team wenig motivierend. Hinzu kommt der Kostendruck: Ich muss gegenüber der Konzernleitung und dem Verwaltungsrat klar aufzeigen, wie wir im Rechtsdienst unser Budget einsetzen. In diesem Spannungsfeld suchen wir nach innovativen Lösungen, und ich bin überzeugt, dass die neuen Technologien uns dabei entscheidend weiterhelfen können.
Der Fokus liegt dabei auf Effektivität und Qualität. Bei rund 5000 laufenden Projekten brauchen wir eine Standardisierung im Vertragsmanagement. Ziel ist es, dass das operative Geschäft einen grossen Teil des Vertrags-Managements eigenständig übernehmen kann. Es ist zudem entscheidend, dass Legartis von allen Beteiligten genutzt wird – unser Ziel ist eine 100%ige Adoptionsrate in den relevanten Märkten.
Die Unterstützung des Leadership-Teams war für uns von zentraler Bedeutung. Nach anfänglichen Bedenken konnten wir mit einem konkreten Vorschlag für das Co-Development überzeugen. Wir haben eine detaillierte Berechnung des Return-on-Investment erstellt und verschiedene KPIs diskutiert. Zwar lässt sich die Qualitätssteigerung durch die neue Lösung nur schwer messen, doch das bleibt eine Herausforderung, der wir uns stellen.
Nachdem das Leadership Team an Bord war, ging es zur Umsetzung des Projekts. Dr. Michael Burkart, was ist dann passiert?
Dr. Michael Burkart: Ein wesentlicher Bestandteil des Projekts war das Co-Development. Wir haben gemeinsam mit Legartis bauspezifische Vertragsklauseln entwickelt, die auf den bestehenden Klauseln von Legartis aufbauen. Das Legartis-Team führte das Co-Development über einen Zeitraum von vier bis sechs Monaten durch. Dabei stellten wir zahlreiche Verträge zur Verfügung, die als Grundlage für das Training der Lösung dienten.
Wichtig war, dass beide Seiten ein klares Verständnis für unseren Anwendungsfall hatten. Unsere Fachexperten, die Global Heads der jeweiligen Divisionen, wurden von Anfang an in den Prozess einbezogen. Seit Sommer 2023 sind sie sehr aktiv beteiligt und sorgen dafür, dass die Lösung unseren fachlichen Anforderungen gerecht wird.
Wie zufrieden seid ihr bislang mit der Zusammenarbeit?
Dr. Michael Burkart: Wir sind mit dem Co-Development äusserst zufrieden. Das Training wurde vom Legartis-Team durchgeführt, während wir sowohl zu Beginn als auch bei der Qualitätsprüfung eingebunden waren. Legartis brachte umfassendes Know-how zu den bearbeiteten Verträgen ein und konnte die technische Lösung unserem Legal-Team präzise erklären. Anfangs gab es einige Fragen, aber die Erklärungen waren sehr hilfreich und führten zu einem besseren Verständnis. Die Zusammenarbeit verlief insgesamt sehr gut.
Herr Grüniger, wo sehen Sie den Mehrwert von Legartis bei Implenia?
German Grüniger: Mit rund 5000 laufenden Projekten und ständigen neuen Akquisitionen spielt das Vertragsmanagement eine zentrale Rolle für unseren Erfolg. Viele Probleme entstehen, wenn das Handling von Verträgen nicht richtig erfolgt. Unser Legal Department minimiert dieses Risiko.
Alles, was wir derzeit mit Legartis umsetzen, erledigen wir aktuell noch manuell. Wir prüfen 72 oder 74 Klauseln, fügen manuell Anmerkungen hinzu und diskutieren anschliessend mit dem operativen Geschäft. Wenn man sieht, wie schnell dieser Prozess jetzt abläuft und dass das Business das Vertragsmanagement grösstenteils selbst übernehmen kann, wird der enorme Effizienzgewinn sofort deutlich.
Wer diese Möglichkeiten nicht nutzt, wird den Anschluss verlieren. Für Dr. Michael Burkart ist klar, dass die Legartis-KI uns einen erheblichen Effizienzvorsprung verschafft. Wenn das Business die Bauverträge selbst prüft und wir nicht mehr manuell 74 Klauseln durchgehen müssen, ist das ein entscheidender Schritt in die Zukunft.
Wie gut passt KI in die Digitalisierungsstrategie von Implenia?
German Grüniger: KI passt hervorragend zu unserer Strategie, insbesondere im Projektrisikomanagement. Jedes Projekt bringt technische, finanzielle und rechtliche Risiken mit sich. KI hilft uns, diese Risiken besser zu verstehen und aus vergangenen Fehlern zu lernen. Für die zukünftige Entwicklung von Implenia Legal ist der Einsatz von KI von entscheidender Bedeutung, und unser Team steht dem sehr offen und interessiert gegenüber.
Wir prüfen bereits weitere Anwendungsfälle. Heute Morgen habe ich mit Dr. Michael Burkart darüber gesprochen, wie wir KI in einem grossen Rechtsfall einsetzen können, um Zusammenfassungen und Risikoeinschätzungen zu erstellen. Ich bin fest davon überzeugt, dass KI uns in der Zukunft enorm unterstützen wird. Wenn man die rasante Entwicklung von Technologien wie ChatGPT betrachtet, erkennt man das immense Potenzial.
Wo seht ihr das Ausbaupotenzial bei Verträgen?
German Grüniger: Neben Bauwerk-, Subunternehmer- und Garantieverträgen haben wir viele andere Verträge: Arbeits-, Versicherungs-, IT-Verträge usw. Ein grosses Problem ist oft der Überblick über alle Verträge. Ich stelle mir vor, dass wir mit Hilfe von Tools alle Verträge im Unternehmen managen können. Welche Verträge haben wir, welche Gerichtsstandsklauseln, welche Risiken? Das ist heute oft mühsam zusammenzutragen. Hier sehe ich grosses Effizienzpotenzial.
Dr. Michael Burkart: Ich kann das nur unterstützen. Wir sind da auf dem gleichen Weg. Die Lösung auf andere Vertragsarten anzuwenden und die Usability so zu gestalten, dass sie vom Business genutzt werden kann, ist wichtig. Es soll eine Win-Win-Situation sein, damit sie schneller zum Ziel kommen und der Rechtsdienst nur bei Abweichungen eingeschaltet wird. Das ist eine weitere Entwicklung, die wir planen.
Wo stehen wir in einem Jahr, in zwei Jahren?
German Grüniger: In zwei Jahren könnte mein Legal Department nicht nur aus Jurist:innen bestehen, sondern aus Nutzern von KI, die genauso gut die Arbeit leisten. Das Business wird das Vertragshandling selbst übernehmen können. Wir werden weniger repetitive, monotone Aufgaben erledigen und können uns auf die wichtigen Dinge konzentrieren, die das Unternehmen voranbringen. Technologisch wird in zwei Jahren extrem viel möglich sein.
Dr. Michael Burkart: Ich unterstütze Germans Punkte. Der Legal Counsel wird nicht ersetzt, sondern befähigt. Er muss die verfügbaren Lösungen nutzen, um schneller und effizienter zu sein. KI-Lösungen werden im Rechtsbereich zum Standard. So können wir unsere Ressourcen effizient einsetzen und dort tätig sein, wo wir den Mehrwert des Unternehmens steigern können – nicht in repetitiver Arbeit wie der Vertragsprüfung, sondern in Analysen und strategischer Beratung. Ich glaube, das wird sich in naher Zukunft drastisch ändern.
Vielen Dank für das Gespräch!
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